Deutschland wankt gerade in die nächste Corona-Welle und Bayern ist wie immer mit vorne dran. Eine guter Zeitpunkt, nachzusehen, wie gut die Impfungen wirken. Im folgenden soll argumentiert werden, warum paradoxerweise inzwischen wohl prozentual die meisten neu mit Corona Infizierten geimpft sind.
Das bayrische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) veröffentlicht wöchentlich jeden Donnerstag aktuelle Corona Kennzahlen [1]. Werfen wir einen Blick darauf:
Die Wirksamkeit der Impfung berechnet sich als
\[s_i=\ 1\ -\ \frac{Inzidenz\ unter\ Geimpften}{Inzidenz\ unter\ Ungeimpften}\]Die nötige Mathematik dahinter ist ausführlich in diesem Blog [2] beschrieben. Außerhalb Studien sind die zur Berechnung nötigen Inzidenzen jedoch schwer zu ermitteln. Aus den vom LGL veröffentlichten Inzidenzzahlen (blau markiert) ließe sich eine Wirksamkeit gegen Infektion von rund 89% ableiten. Diese Zahl ist aber sicher falsch und der 3G Regelung geschuldet, wer geimpft oder genesen ist, wird üblicherweise nicht getestet und damit ist die angegebene Inzidenz unter Geimpften wohl deutlich zu niedrig angesetzt. Die gelb markierten Zahlen der Inzidenzen bei Hospitalisierung dürften einigermaßen hart und wasserfest sein, hier wird meinem Kenntnisstand nach jeder getestet und schwere Verläufe werden üblicherweise mit Hospitalisierung gleichgesetzt.
Was sich aus obigen LGL Zahlen damit berechnen lässt, ist die Wirksamkeit der Impfung gegen schwere Verläufe
\[s_s=\ 1\ -\ \frac{Inzidenz\ schwerer\ Verläufe\ unter\ Geimpften}{Inzidenz\ schwerer\ Verläufe\ unter\ Ungeimpften}\]Aus obigen LGL Zahlen ergibt sich damit eine Wirksamkeit gegen schwere Verläufe von
\[s_s=\ 1\ -\ \frac{1.8}{6.8}\ =\ 74\%\]Das ist mit Vorsicht zu genießen, die Stichprobenanzahl ist mit 785 Fällen noch relativ klein, allerdings bereits deutlich größer als die Fallzahlen in den Zulassungstudien der Impfstoffe. Wer aber die LGL Werte über die letzten Wochen verfolgt hat, wird eine Stabilisierung auf 75-80% bemerkt haben. Damit landen wir deutlich unter den erwarteten “über 90% Wirksamkeit gegen schwere Erkrankung”, was der Delta-Variante geschuldet sein dürfte. Anders ausgedrückt erkranken 2.5 – 5 mal mehr Geimpfte schwer an Corona, als vor einem Jahr noch euphorisch erwartet.
Die Wirksamkeit der Impfung gegen Infektion muss prinzipbedingt geringer sein, als die gegen schweren Verlauf, sie war das auch in allen Zulassungsstudien, beim AstraZeneca Impfstoff beispielsweise rund 20 Prozentpunkte. Wir sollten also von einer Wirksamkeit gegen Infektion von
\[s_i=\ 50\%\ -\ 70\%\]ausgehen. Ob dabei geimpfte Infizierte eine geringere Viruslast weitergeben und damit weniger ansteckend sind, scheint strittig zu sein, es gibt Studien, die das nahelegen, aber auch solche die von einer annähernd gleichen Viruslast sprechen. [3][4] Zumindest scheinen geimpfte Infizierte kürzer ansteckend zu sein.
Der Anteil der geimpften Neuinfizierten an den gesamt Neuinfizierten lässt sich mit Formel 7 aus [2] berechnen
\[q_i=i\frac{1-s_i}{1-is_i}\ \ \ \left[5\right]\]Mit den vom LGL genannten Impfquoten beträgt dieser je nach Bevölkerungsgruppe rechnerisch
Anteil geimpfter Infizierter qi | Impfquote i | |||
Wirksamkeit si | Gesamt 65% | 12-17 Jahre 40% | 18-59 Jahre 71% | über 60 Jahre 83% |
50% | 48% | 25% | 55% | 71% |
60% | 43% | 21% | 49% | 66% |
70% | 36% | 17% | 42% | 59% |
und wir haben überall, wo sich in obiger Tabelle Werte über 50% ergeben, das überschritten, was ich
Break-Even-Point
nennen möchte, die Mehrzahl der Neuinfizierten ist geimpft. Dort, wo wir ihn noch nicht erreicht haben, rückt er mit zunehmendem Impffortschritt oder abnehmender Wirksamkeit in greifbare Nähe. Für die erwachsene Bevölkerung dürften wir ihn erreicht haben, für die Kinder und Jugendlichen liegt er noch in der Zukunft.
Das ist an sich gut und vor allem zu erwarten. Spätestens bei einer Impfquote von 100% werden alle Neuinfizierten geimpft sein. Es spricht auch nicht gegen die Impfung, die mit 75% Schutz gegen schwere Verläufe weiterhin einen sehr guten Grund bietet, sich impfen zu lassen, insbesondere auch deshalb, weil der Schutz gegen tödliche Verläufe höher sein dürfte.
Es sollte aber in der gegenwärtigen Situation, in der von vielen Seiten weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für nötig erachtet werden, den Blickwinkel verschieben, weg von 3G und 2G Regelungen hin zu sinnvollen Konzepten. Hierzu demnächst mehr.
[1] LGL – Wichtige Kennzahlen auf einen Blick https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.htm#wKennzahlen
[2] Herdenimmunität durch SARS-CoV-2 – Impfung https://juere.de/2021/07/25/herdenimmunitaet-durch-sars-cov-2-impfung
[3] Vaccinated and unvaccinated individuals have similar viral loads in communities with a high prevalence of the SARS-CoV-2 delta variant https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.31.21261387v1.full.pdf
[4] Virological and serological kinetics of SARS-CoV-2 Delta variant vaccine-1 breakthrough infections: a multi-center cohort study https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.28.21261295v1.full.pdf
[5] Für mathematisch Interessierte hier graphisch dargestellt der Zusammenhang von qi und Impfquote i für verschiedene Impfstoffwirksamkeiten s.
Aufgetragen wurden neben s=50-90% zusätzlich eine unwirksame Placeboimpfung mit s=0% sowie eine hochwirksame Impfung mit s=99%, vergleichbar der Masernimpfung. Die Impfquote, für die der “Break-Even-Point” erreicht wird, lässt sich berechnen, indem man in obiger Gleichung qi=1/2 setzt und nach i auflöst, es ergibt sich
\[i_b=\frac{1}{2\ -\ s_i}\]
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