Täglich ging die wunderschöne
Heinrich Heine, “Der Asra” 1851
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimath, deine Sippschaft!
Und der Sklave sprach:
ich heiße Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben wenn sie lieben.
Meine erste Begegnung mit dem Asra liegt über dreißig Jahre zurück. Ich war mit einer Freundin in München Kunst gucken, ich denke, es war in der alten Pinakothek. Direkt am Eingang eines großen Saales stand dort als Leihgabe die imposante Holzstatue eines jungen, arabischen Mannes, dunkle Haut, Kaftan, ein feines, schön geschnittenes Gesicht mit unendlich traurigem Blick. Am Sockel der Statue war Heine’s “Asra” in Holz gerahmt befestigt.
Fünfundzwanzig Jahre später habe ich mich selbst unsterblich in eine Frau verliebt, die den Asra zu ihrem Liebesideal erhoben hat. Neben “Eliza Day” [1], die von ihrem Lover, dem einzig Würdigen und Wahren, nach dem ersten Kuss am Flussufer mit einem Stein erschlagen wird und der “Melusine” [2], dem Schlangenweib, das nicht mehr geliebt werden kann, sobald Mann ihre wahre Gestalt erkannt hat. Ich weiß nicht, wie es anderen ergeht, aber ich für meinen Teil bin hin und weg angesichts dieser drei Geschichten und der dunkle Romantiker in mir feiert ein Fest. Immer noch und immer wieder.
Der Asra stirbt also, wenn er liebt.
Halt, nein ruft da die Paartherapeutin.
Er liebt gar nicht, der Asra, er ist verliebt und das ist ein großer Unterschied. Verliebtsein wird von den meisten beziehungsfähigen Menschen als unangenehm dem Tode nah empfunden. Herzklopfen, Schmetterlinge im Bauch, Zweifel, Unsicherheit, Euphorie und jede Menge Hormone. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Diesen Zustand aufrecht zu erhalten, gelingt nur begrenzte Zeit. Dann setzt entweder Ernüchterung ein und die frische, neue Beziehung zerbricht oder aber es entwickelt sich durch Bindung Liebe. Zweifel und Unsicherheit sind verflogen, man ist sich einander sicher. Im arabischen Kulturkreis sagt man, das würde so fünf bis zehn Jahre nach der Eheschließung passieren. [3]
Manche Menschen sind zu dieser Art Bindung, die anderen so leicht fällt wie Atmen, nicht fähig. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen meistens in der Kindheit. Eine kalte, abweisende Mutter wird als häufigster Grund genannt.
Weil die Bindung und mit dieser das Vertrauen ausbleibt, wird das Verliebtsein zur Droge und zum Dauerzustand. Während sich der Partner bereits in Richtung Beständigkeit bewegt und das Verliebtsein abflaut, ist der Verliebtsein-Junkie auf Entzug und verlangt dringendst nach MEHR. Muss er ja auch, da ist sonst nichts. Vor allem kein Vertrauen. Beständigkeit für beide entsteht so nicht, nach ein paar Monaten kracht es ganz fürchterlich und die Beziehung zerbricht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen (“Warum vertraust du mir nicht?” – “Du liebst mich doch gar nicht, ich brauche MEHR”)
Für mich ist der Asra der Prototyp des Verliebtsein-Junkies. Das Sterben als Dauerzustand. Als mir nach der sechzehnten Trennung obiger Zusammenhang dank viel Hilfe netter Menschen ganz langsam bewusst geworden ist, habe ich mein WhatsApp-Motto auf
If you Meet the Asra on the Road, Kill Him
Frei nach Sheldon Kopp [4]
geändert. Geholfen hat das nicht wirklich, aber unheimlich gut getan.
Manchmal stelle ich mir vor, die Fürstin hätte sich nach obigem Gespräch gesagt “Mein Gott, wie konnten wir nur den Mohamet übersehen. Der passt doch wie der Topf zum Deckel zu unserer Aischa”. Wäre dann mit dieser Erkenntnis zum Sultan gelaufen, und der hätte die beiden standrechtlich vermählt.
Dann müsste er nicht mehr sterben, unser Asra.
Er hat ja jetzt seine Aischa nebst kleinem Palast von Schwiegervaters Gnaden.
Aber wie geht er damit um, dass die gute Aischa abends im Bettchen pupst, wenn sie Mittags zuvor Krautwickerl gegessen hat ? Wie damit, dass sie sich manchmal mehr für den höfischen Tratsch als für seine Liebesbeteuerungen interessiert ? Zudem isst sie in letzter Zeit ziemlich viele Krautwickerl, ist infolgedessen in die Breite gegangen und hat das entwickelt, was der Bayer einen Bierbauch nennt. Verliebte Partner kommen mit dem allen gut klar, das tut der Liebe keinen Abbruch. Paar liebt sich, so wie der jeweils andere eben ist. Schließlich vögelt man Menschen, keine Körper und schön ist man, weil man geliebt wird, nicht umgekehrt.
Mit dem hohen Idealen des Verliebtseins verträgt sich nichts von alledem. Verliebtsein ist Ausnahmezustand, da hat Alltag keinen Platz und der Dauerverliebte braucht MEHR, nicht dröge Routine.
Milan Kundera schreibt in “Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins”, die frühen Gnostiker hätten sich unendlich schwer getan, Gott und Gedärme unter einen Hut zu bringen und hätten deshalb die Erkenntnis
Jesus hat gegessen und getrunken, nicht aber defäkiert
Valentinus, 2. Jahrhundert
gewonnen. Genauso ergeht es dem Asra. Bierbauch und Pupsen sind unerträglich, sind Symbole des verhassten Alltags. In Kunderas Sprechweise ist Mohamet damit ein “Kitsch-Mensch”, der sich der Realität verweigert.
Er würde gehen, unser Asra.
Heimlich still und leise vom Zigarettenholen nicht mehr heimkommen. Schröcklich unverstanden würde er sich vorkommen dabei, wie kann sie nur, Aisha, die einmal die einzige war. Er würde sich abnabeln von ihr, was in Rekordzeit ginge, ganz ohne zu sterben, weil er die einst Vergötterte in Gedanken völlig entwertet hat. Er würde den nächsten Brunnen suchen (als moderner Asra bei Tinder & Co) und dort weiterschmachten. Unverstanden und fern der Liebe in die nächste Runde gehen.
Armer Asra.
Arme Aisha.
[1] “Where The Wild Roses Grow” Nick Cave and the Bad Seeds / Kylie Minogue 1995
[2] Melusine / Melusina https://de.wikipedia.org/wiki/Melusine
[3] Stefanie Stahl “Jein! – Bindungsängste erkennen und bewältigen”, 2020
https://www.stefaniestahl.de/buecher_jein_page1/
[4] Sheldon Kopp “If You Meet the Buddha on the Road, Kill Him: The Pilgrimage Of Psychotherapy Patients“, 1982
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