Quo Vadis Corona – von Todeszahlen, Meteorsteinen und sterbenden Zauberköniginnen

Am Heiligabend ist weitgehend unbemerkt etwas durchaus bemerkenswertes geschehen. Im Wust der täglich auf uns einprasselnden Corona-Zahlen hat Bayern mit 148 Toten pro 100000 Einwohner die vielgelobten, vielgescholtenen Schweden eingeholt. Angesichts der völlig unterschiedlichen Herangehensweisen im Umgang mit der Pandemie, lohnt es sich, Rückschau zu halten.

Die Anzahl der an Corona Verstorbenen ist zweifellos eine wichtige Kenngröße, wenn es darum geht, den Umgang einzelner Staaten mit der Pandemie zu bewerten. Direkt erfasst wird diese Anzahl nicht, öffentliche Statistiken weisen immer nur die Anzahl der Verstorbenen aus, bei denen zum Todeszeitpunkt ein positiver Corona Befund vorlag. Damit geht im Extremfall auch ein frischer, PCR-positiver Autounfall als “Mit-Corona-Verstorbener” in die Statistik ein, obwohl die wahre Todesursache “Betonmauer” hieß. Diverse pathologische Untersuchungen [1] haben sich damit befasst, wie weit die Zahl der “An-Corona-Gestorbenen” unter der der “Mit-Corona-Gestorbenen” liegt. Genannt werden typischerweise 10-20% der Fälle, die abgezogen werden müssen, weil Corona nicht die primäre Todesursache war.

Ich kann mich gut an eine Pressekonferenz des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder im August 2020 erinnern, in der dieser auf die Frage eines Reporters sinngemäß geantwortet hat, der schwedische Sonderweg sei keinesfalls empfehlenswert, schließlich hätte Schweden bislang fünfmal soviel Corona-Tote wie Deutschland. Diese Aussage war zum damaligen Zeitpunkt korrekt, die Statistik wies pro 100000 Einwohner 11 Tote für Deutschland gegenüber 55 Toten für Schweden aus.

Das “Gesicht” der schwedischen Corona Politik, der Staatsepidemologe Anders Tegnell, hatte bereits im Mai 2020 den schwedischen Sonderweg verteidigt. Die Pandemie wäre ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf. Alle zu treffenden Maßnahmen müssten so angelegt sein, dass man sie langfristig durchhalten könne, müssten vernünftig begründet und ohne massiven Zwang durchsetzbar sein.

Bayern hat also am Heiligabend mit 148 Toten Schweden eingeholt [2], inzwischen liegen wir sogar leicht vorne.

Auf dem Weg dahin haben wir wechselnde Maßnahmenpakete erlebt, es wurde teilweise im Wochenrhythmus “nachgeschärft” und “gelockert” bis wirklich niemand mehr in der Lage war, aus dem Stegreif korrekt zu sagen, mit wie vielen und welchen Personen er sich am kommenden Wochenende wo treffen dürfe. Verordnungen, die am Montagmorgen gelten sollten, wurden und werden routinemäßig am Sonntag spät nachts im Internet veröffentlicht. Aus dem ursprünglichen “wir fahren nur auf Sicht” ist immer mehr ein “wir müssen” geworden, auch damals, als Bayern im Gegensatz zu Schweden, Frankreich und der Schweiz unverantwortlicherweise die Schulen geschlossen hat. Die bayrische Staatsregierung hat in beinahe jeder Pressekonferenz stolz verkündet, über bundesweite Standards hinauszugehen, im “Team Vorsicht” zu spielen und immer wieder eine Vorreiterolle im “Kampf” gegen Corona beansprucht. Von der von Herrn Tegnell angemahnten Konstanz im Alltagsleben keine Spur, obwohl genau diese in politischen Statements immer wieder beschworen wurde. Wenn man obige Todeszahlen vergleicht, liegt Bayern bundesweit deutlich im schlechteren Drittel. Hierfür werden die bösen ausländischen Nachbarn verantwortlich gemacht, alles Böse kommt in Krisenzeiten routinemäßig von außen.

Sehr deutlich wird der Unterschied in der “Schärfe” der getroffenen Maßnahmen, wenn man einen Blick auf den “Oxford COVID-19 Stringency Index” [3] wirft. Dieser weist Deutschland aktuell auf einer Skala von 0-100% “Schärfe” mit 84%, Schweden mit vergleichsweise milden 49%, unser direktes Nachbarland, die Schweiz mit 44% aus.

Warum die schärferen Maßnahmen dann nicht die besseren Ergebnisse zeigen, kann man versuchen wegzuargumentieren indem man die Bewertungsmethode bei der Ermittlung des “Stringency Index” angreift. Man kann auch wie Christian Drosten [4] sagen, Schweden solle man eher mit Norwegen vergleichen, schließlich hätten beide eine wesentlich geringere Bevölkerungsdichte als Deutschland. Das ist sicher richtig, dann bleibt aber immer noch die Schweiz. Die hat eine annähernd gleich hohe Bevölkerungsdichte wie Deutschland und in der dicht besiedelten Zentralschweiz gar mehr als doppelt soviel wie Bayern.

Jeder, der sich wie ich in den vergangenen zwei Jahren häufig in der Schweiz aufhalten durfte, hat wahrscheinlich ganz deutlich den Unterschied zwischen 84% Stringency und 44% Stringency beim Grenzübertritt gespürt und vielleicht auch in Züri, Bern, Luzern, Solothurn oder Aarau im Straßencafe oder der Kneipe das Gefühl gehabt, endlich wieder freie Luft zu atmen. Donke, Rita ?

Man kann das alles (“dir selbst sei treu”) wegargumentieren, man kann die offensichtliche Tatsache aber auch stehen lassen und das Problem grundsätzlich angehen.

Corona war und ist gefährlich, ist für Risikogruppen lebensbedrohlich und wird weiterhin Todesopfer fordern. Durch Impfungen und überstandene Erkrankungen haben wir aber inzwischen einen Grad an bevölkerungsweiter Grundimmunität erreicht, der uns erlauben sollte, ohne einschneidende Maßnahmen mit Corona zu leben. Wir müssen uns nur trauen und den irsinnigerweise ausgerufenen Kampf gegen Corona aufgeben. Wenn wir ihn aufgeben, müssen wir uns eingestehen, dass wir ihn verloren haben, alles andere wäre unredlich, Corona wird bleiben. Das fällt den Kämpfern naturgemäß schwer. Weil das so schwer fällt, führen wir im Moment eine verlogene Impfpflichtdebatte, die völlig ignoriert, dass wir im Moment gegen die sich rasant ausbreitende Omikron Variante gar keine wirksame Impfung haben [5] und die bloße Hoffnung, dass diese kommt, bevor Omikron wieder verschwindet, genauso trügerisch sein kann, wie die letzte große Hoffnung, bei 70% Impfquote Herdenimmunität zu erreichen.

Mich selbst macht es nicht stolz, sondern traurig, in dem Land mit den weltweit schärfsten Corona-Maßnahmen zu leben, wenn ich mir das vergleichsweise enttäuschende Ergebnis ansehe.

Wir reden von “Sicherheit” und “Schutz” und haben uns daran gewöhnt, dass der Staat diese für uns in der Pandemie zur Verfügung stellt. Dabei ist die Verantwortung für die eigene Gesundheit eigentlich eine persönliche.

Pünktlich zum Schulbeginn habe ich als Elternteil eines Grundschulkindes einen Rundbrief des bayrischen Kultusministeriums erhalten. Darin fordert mich Herr Piazolo indirekt auf, mein Kind doch endlich impfen zu lassen, schließlich böte die Impfung im Moment den “besten Schutz gegen Corona”. Das steht zwar im Widerspruch zur aktuellen Impfempfehlung der STIKO, die eine Impfung für 10jährige nur bei Vorliegen von individuellen Risikofaktoren empfiehlt, die Begründung für diesen Widerspruch bleibt außen vor. Aber am Argument mit dem besten Schutz ist nichts zu rütteln, das ist wohl tatsächlich so.

Dass ich dem Argument trotzdem nicht folgen will, liegt an meiner Oma. Die hat mich als Kind immer abwechselnd Schallplatten von Pumuckl und Karl Valentin hören lassen. Letzterer hat vor über 80 Jahren in einem seiner grandiosen Sketche festgestellt, den besten Schutz gegen Meteorsteine böte es, in einem Bergwerk 1000 Meter tief unter der Erde zu wohnen, deshalb täte er das jetzt.


Käufer: Kaufen Sie sich dann wieder ein neues Haus?
Verkäufer: Niemals mehr, ich suche ein altes 1000 Meter tiefes Bergwerk zu mieten.
Käufer: Das ist ja unheimlich
Verkäufer: Schon – aber sicher!
Käufer: Vor wem?
Verkäufer: Vor Meteorsteinen
Käufer: Ach so ein Meteorit fällt doch so selten vom Himmel runter
Verkäufer: Ja die Sicherheit geht in dem Fall über die Seltenheit

Karl Valentin – Der überängstliche Hausverkäufer

Die “Meteorsteine” sind nach Meinung mancher Experten die zensurtaugliche Variante von “Fliegerbomben”

Ich musste also bei Herrn Piazolos Worten an Karl Valentin denken und habe herzlich gelacht. Herr Piazolo möge mir verzeihen, das unbotmäßige Lachen genau wie den Titel dieses Blogbeitrags, der korrekt “quo vademus” heißen müsste. Hätte er diesen statt der Impfempfehlung der STIKO kritisiert, wäre das zumindest fachkompetent gewesen.

Damit habe ich als Kind schon gelernt, dass Sicherheit nicht der Sinn des Lebens ist. Maß und Ziel sind gefragt, Sicherheit um jeden Preis ist ein Holzweg. Letzteres, das Ziel, vermisse ich in der politischen Diskussion vollkommen. Wenn mich jemand fragt, was das Ziel der deutschen Corona-Politik ist, weiß ich es nicht, es wurde für mich nie erkennbar klar formuliert. Dass ich dieses Ziel nicht kenne, wäre verschmerzbar, es ist aber zu befürchten, dass es einem Großteil der politischen Entscheidungsträger ähnlich ergeht. Ohne Ziel gibt es aber auch keine Exit-Strategie.

Wolfgang Kubicki hat vor zwei Wochen mit der These, die geplante Impfpflicht mute ein wenig wie Rache der Impfbefürworter an [6], für erhebliche Aufregung und Gegenwind gesorgt. Ich selbst habe meine Haltung in diesem Blog mehrfach klar gemacht. Ich bin erklärter Impfbefürworter und seit Mitte November dreifach geimpft. Die Impfkampagne hat großartiges geleistet, was man am Verhältnis von Inzidenzzahlen und Todesfällen über den zeitlichen Verlauf der Pandemie hinweg ganz klar nachvollziehen kann.

Zeitlicher Verlauf Neuinfektionen und Todesfälle, Quelle Berliner Morgenpost

Ich bin aber wie Herr Kubicki strikt gegen eine allgemeine Impfpflicht, in der aktuellen Impfpflichtdebatte sehe in seitens der Befürworter mehr Aktionismus als Sachargumente.

Die Diskussion um Impfpflicht und Corona-Maßnahmen hat unsere Gesellschaft tief gespalten. Diese Spaltung lässt sich nicht dadurch aufheben, dass die Mehrheit der Minderheit ihre Sicht der Dinge aufdrängt, sei es mittels 2G Regelungen oder allgemeiner Impfpflicht. Dadurch wird die Spaltung nur verstärkt und es entsteht vielleicht ein nachhaltiger, dauerhafter Riss, der sich nicht mehr kitten lässt. Vor diesem Hintergrund Rache und Rechthaberei zu sehen, wie das Herr Kubicki tut, ist naheliegend und der Gedanke hat etwas.

Aus einer ganz anderen politischen Ecke kommend hat Sarah Wagenknecht kürzlich korrekt bemerkt, wäre in der Vergangenheit jemals eine Minderheit derart diskriminiert worden wie aktuell die Impfgegner [7], hätte die gesamte Linke geschlossen auf den Barrikaden gestanden.

Wenn mich im Moment jemand fragt, wie Corona enden wird, erkläre ich das gerne mit einer Filmszene. In der Verfilmung von “Merlin” mit Sam Neil in der Titelrolle (1998) gibt es die böse Zauberkönigin Mab, die für die alte Zeit steht, das Volk der Gläubigen grausam unterjocht und in ihre Dienste zwingt. In einer grandiosen Schlussszene wendet sich Merlin umringt von Mab-Getreuen gemeinsam mit diesen von ihr ab, dreht ihr den Rücken zu und alle verlassen gemeinsam den Saal. Mab spuckt Gift und Galle und löst sich in Rauch auf [8].

Genau so wird Corona enden. Wir werden lernen, wegzusehen, uns abwenden und weiterleben, mit Corona, aber ohne Masken, mit dichtem Gedränge und ganz viel Körperkontakt. Die reflektierteren Kämpfer unter uns werden einsehen, dass sie einen Kampf verloren haben, und es unsinnig war zu kämpfen. Wer geimpft ist und wer nicht, wird irgendwann egal und wieder persönliche Entscheidung sein.

Darauf freue ich mich.


[1] Ärzteblatt – Großteil der Coronatoten „an“ statt „mit“ COVID-19 gestorben
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/120950/Grossteil-der-Coronatoten-an-statt-mit-COVID-19-gestorben

[2] Berliner Morgenpost – Corona Zahlen aktuell, interaktive Karte
https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/

[3] Our World in Data – Oxford COVID-19 Stringency Index
https://ourworldindata.org/grapher/covid-stringency-index

[4] Christian Drosten – Schweden sollte man eher mit Finnland oder Norwegen vergleichen
https://twitter.com/c_drosten/status/1400378156159221764?lang=de

[5] Zulassungsbedingung für Impfungen war bislang eine Wirksamkeit gegen Infektion größer 50%, siehe hierzu
Ärzteblatt – Laborstudie bestätigt geringe geringe Schutzwirkung der Impfung gegen Omikron
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/130078/COVID-19-Laborstudie-bestaetigt-geringe-Schutzwirkung-der-Impfung-gegen-Omikron

[6] Berliner Zeitung – Kubicki: Vielen Impfpflicht-Befürwortern geht es offenbar um Rache
https://www.berliner-zeitung.de/news/kubicki-vielen-impfpflicht-befuerwortern-geht-es-offenbar-um-rache-li.201388

[7] Interview mit Sarah Wagenknecht – Warum Linken-Politikerin so klar gegen die Impfpflicht ist
https://www.youtube.com/watch?v=v8UXuW70Xx8

[8] Merlin – The end of Queen Mab
https://www.youtube.com/watch?v=LxiLUEgN6vQ